Der Wandel-leben und wachsen mit einem speziellen Kind

Vortrag zum Tag der Offenen Tür am 9. Mai 2015

 

Leben und wachsen mit einem speziellen Kind

 

Leben heißt sich wandeln und vollkommen sein heißt, sich oft gewandelt zu haben

 

Mit meinem Projekt „zusammenunterwegs“ möchte ich Familien und Kinder begleiten, die sich mit dem Thema “Anders-Sein” auseinandersetzen.

 

Der Ueberlegungs- und Gestaltungsprozess für dieses Projekt fing mit der Geburt meines Sohnes Rishi vor 8 Jahren an. Die Geburt eines jeden Kindes ist speziell; diese glich einem Brennpunkt, an dem sich vieles verdichtete und mein Leben eine neue Richtung nahm.

Leben mit einem speziellen Kind - das sind all die kleinen, glücksbringenden Momente: seine Umarmungen und sein Mama dazu, nie kalkuliert, grosszügig und häufig. Seine kleinen, grossen Fortschritte, unscheinbar von aussen, bedeutsam für mich, die ich miterlebt habe, wie lange er dafür geübt habt. Schwierige Momente, in denen ich Separation erlebe.

Noch unterscheidet sich mein Leben kaum vom Leben anderer Mütter.  

Jedoch führt Rishi mich noch ein kleines Stück weiter.

Wachsen mit einem speziellen Kind - das ist das Wegstück, auf dem Rishi nicht mehr mein Kind, sondern mein Lehrer ist. Er führt, gibt die Richtung an und ich versuche zu folgen. Dies ist weniger etwas aktives, mehr ein vollständiges zu ihm hingewandt sein, es bedeutet, ihm zur Verfügung zu stehen. Es gilt, zuzuhören und zu erfassen, welches sein nächster Entwicklungsschritt ist. Oder besser gesagt: in welche Richtung das Leben ihn ihm sich entwickeln möchte. Als Wegweiser dazu dient mir eine innere Stimme, ein inneres Gefühl. Dabei versuche ich mich als Person gänzlich loszulassen und aus dieser inneren Leere heraus ih ihn hineinzuspüren: wie fühlt er sich in dieser Situation, mit dieser Person, in dieser Tätigkeit? Fühlt sich die Antwort ruhig und doch gleichzeitig lebendig an, bleibt mir als Aufgabe nur noch, die nötigen praktischen Bedingungen zu gestalten.

Wachsen mit einem speziellen Kind bedeutet erst einmal nichts zu tun, da zu sein, still und leer.

Neben „Leere und Stille“ kommt mir als nächstes das Wort „Wandel“ in den Sinn. Rishi zu begleiten bedeutet, mich einem tiefen, vom Leben gesteuerten Wandel hingeben. Es lehrt mich, zu akzeptieren und willkommen heissen, was ist. Es zwingt mich zu Vertrauen in einen vielleicht noch nicht sichtbaren Sinn. Nicht ich, sondern das Leben in ihm weiss.

Mit fünfundreissig war es mein Traum, eine volle Praxis zu haben, Zeit für meine Familie, Museen, Bücher und Reisen. Ich war mir gewiss, wer ich war und in welche Richtung ich mich entwickeln wollte (gerne eine berühmte Heilerin, gerne so rasch wie möglich erleuchtet.....). Mit Rishi ist dieses Bild in ganz viele kleine Stücke zersprungen.

Von ganz Anfang an war ich erfüllte mich das Zusammensein mit ihm mit Glück. Nie habe ich daran gezweifelt, auf meinem Weg zu zu sein.

Nur: wer war ich? Ich war nicht mehr die Person, die ich vor seiner Geburt war. Ich wusste aber auch nicht, wer an die Stelle der alten Person treten konnte. Ich war ...niemand.

 

Über diese ersten Jahre schälen sich ganz langsam Ansätze von Antworten auf diese Erschütterung heraus:

Ist es wichtig, dass du du bist? Wichtig, dass du jemand bist?

Schau auf den Tag – was will er von dir?

Auf welchen (manchmal neuen, manchmal unsicheren) Weg führt dich deine innere Stimme?

 

Die Antwort auf das Leben ist es, die zählt. Nicht meine Person.

 

Auf diesem Weg habe ich bis anhin einiges verloren, einiges gewonnen. Ich bin weniger leichtfüssig unterwegs. Mein Alltag ist voller. Er kostet Kraft. Verloren habe ich aber das Gefühl, vom Leben ungewollt zu sein.

Gewonnen habe ich Momente wertvoller Begegnungen mit anderen, Geduld und vor allem Demut. Leben zeigt sich in unzälligen, ganz verschiedenen Facetten. Alle haben ihre Berechtigung. Alle sind richtig und schön. An uns, sie in uns einzuschliessen und zu lieben.

 

Ein kleiner –manchmal riesiger- Wermutstropfen bleibt jedoch: zu spüren, wie riesig die Diskrepanz ist zwischen dem Wissen und Erleben, welche Bereicherung ein spezielles Kind sein kann und dem Bild von einem speziellen Kind, das vielerorts noch in den Köpfen der Menschen herumspuckt.

 

Ich wünschte, ich könnte den Sames des Mutes in jeden Einzelnen einpflanzen – Mut zur Begegnung, Mut zur Offenheit...für gemeinsam geteilte Momente und Lebensfreude!

 

 

 

Natürlich sagt Khalil Gibran alles viel besser als ich....

 

Wenn die Liebe dir winkt, so folge ihr,

sind ihre Wege auch schwer und steil.

Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin,

Auch wenn das unterm Gefieder ­versteckte Schwert

dich verwunden kann.

Und wenn sie zu dir spricht,

glaube an sie,

Auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettern kann wie der Nordwind den Garten verwüstet.

Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich.

So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich.

So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne zittern,

Steigt sie hinab zu deinen Wurzeln und erschüttert sie ihre Erdgebundenheit.

All dies wird die Liebe mit dir machen,

damit du die Geheimnisse deines Herzens kennenlernst

und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst.

(K. Gibran, der Prophet)

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