Mit euch kann man echt gut reden!

Du bist anders. Mit dir kann ich nicht reden. Ich fürchte mich dafür, dich besser kennenzulernen. Für einen Artikel und eine Initiative der Zeit versucht der Journalist Bastian Berbner, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, mit denen er kaum etwas gemeinsam hat. Von grün bis zu nationalsozialistisch: die Meinungen liegen weit auseinander.

Eine Distanz, die auch mir in meinem Leben immer wieder begegnet. Das unverständliche Wort. Das lange Zögern. Nicht Verstehen. Fehlende Worte. Rauhe, verletzende Gesten. Berührungen, die zu nahe kommen. Menschen mit einer Beeinträchtigung können uns fremd sein. Von Ferne scheint die Verständigung anstrengend bis unmöglich.

Berbner treibt die Neugierde und sein Auftrag weiter. Er stellt fest, dass aus der Ferne das Bild des Menschen an Tiefe verliert: ein Muslim wird leicht zum Terroristen. Blicken wir jedoch einem Menschen in die Augen, reagieren wir sehr oft empathisch. In der Nähe scheinen die Eigenschaften des Gegenübers durch: seine Liebe für Musik. Für Katzen. Seine Abneigung gegenüber Rosenkohl. Sein Talent für Musik und Rhythmus. Sein unwiderstehliches Lächeln. Je näher wir uns sind, desto schwerer fällt uns Ausgrenzung und Ablehnung. 

Wie nun aber entsteht diese Nähe zu einem Menschen mit Beeinträchtigung ? Was kann uns antreiben? Neugierde, gewiss, die Vermutung, dass ein Stück dieses Fremden unser eigenes Leben bereichern kann. Vor allem jedoch glaube ich, ist es das Innehalten und das Zuhören, welches Nähe entstehen lässt; die allmähliche Entdeckung der Geschichte des anderen. Vielleicht durch die Bilder und mit den Worten eines seiner Betreuer oder Angehörigen, aber immer noch seine Geschichte. Der erste Schritt, das erste Lächeln, die Geduld, der er beim Malen aufwendet, seine ursprüngliche Angst vor Pferden und sein Stolz jetzt, wo es mit dem Reiten klappt - kleine, unscheinbare Schritte, aber umso kostbarer, weil sie mit Geduld und Einsatz heraufbeschworen wurden. Es gibt nicht die Behinderung. Es gibt nur Menschen, lese ich in einem Text von Nils Jent. Den Menschen und seine Geschichte, die es mir erlaubt, ihm näher zu kommen. Doch halte ich es überhaupt für möglich, dass ein Mensch mit einer Beeinträchtigung seine eigene Geschichte hat? Ist er nicht zu eingeschränkt, um die Hauptfigur zu verkörpern?  Und doch ist es genau das Wissen um seine Geschichte, welches den Ausgangspunkt bildet für unsere gegenseitige Vertrautheit und erlebte, sichtbare Einzigartigkeit. Alles, was es braucht, ist, dass wir uns hinsetzen, um zuzuhören.

 

 

Die Inspirationen für diesen Text (der noch "work in progress" ist) kommen aus folgenden Quellen:

www.zeit.de/2018/39/deutschland-spricht-diskussion-konstruktiv-streiten-politische-haltung/komplettansicht

www.saiten.ch/aufklaeren-mit-stoischer-geduld/

 

www.ted.com/talks/chimamanda_adichie_the_danger_of_a_single_story

 

Anstelle von "er" hätte ich im Text selbstverständlich auch "sie" verwenden können. 

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