Siehst du mich?

Siehst du mich?
Wie Menschen mit Trisomie 21 wahrgenommen werden möchten.

 

Kurzvortrag im Rahmen der Führungen von insieme21 in der Ausstellung „Touchdown“ im Paul Klee Zentrum Bern.

 

 

 

Wie werden Menschen mit einer Beeinträchtigung (hier Trisomie 21) wahrgenommen? Werden sie überhaupt wahrgenommen?

 

Unschön, aber ehrlich: bevor ich Mutter eines Kindes mit T21 wurde, war mir kaum bewusst, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung in unserer Mitte leben.

 

Wo begegnen wir ihnen, den Menschen mit einer Behinderung? Wo fallen sie uns auf, die ehrlichen Bilder von Menschen mit Trisomie 21? Wo lesen wir von ihrem Leben, ihren Gefühlen, Wünschen und Träumen? Jetzt, da ich diese Bilder aktiv suche, weiss ich von einigen Menschen und ihren berührenden Lebensgeschichten  und Projekten.

 

Der Wunsch nach einer angemessenen Wahrnehmung eines Menschen mit Trisomie 21 muss also aktiv umgesetzt werden. Der Platz, um wirklich gesehen zu werden muss immer wieder neu erschaffen werden.

 

Projekte, wie diese Austellung „Touchdown“ im Zentrum Paul Klee, das Fotomodell Madelaine Stuart, Kampagnen von insieme, der Bitty and Beau Coffee Shop oder das Stadhaushotel in Hamburg setzen in der letzten Zeit immer wieder positive Akkzente in der Öffentlichkeit.

 

Sicher möchten hier Menschen mit Trisomie 21 ansetzen, ebenso wir, die wir sie begleiten. und wir, die wir sie begleiten. Genauso wie die süssen Babys, die Männer mit dem verschwörerischen Blick und dem Waschbrettbauch und die Frauen mit den wunderschönen Haaren und langen Wimpern sollen sie in der öffentlichen Bilderwelt präsent sein. Ich bin, ich bin ich, sieh mich, sieh mich als Menschen mit Fähigkeiten, nimm mich wahr, trau dich, mir zu begegnen: die Aufrufe sind vieler. Nicht der Vorhang der Behinderung zählt, sondern die Ressourcen, die Freude, die Persönlichkeit, die Schwierigkeiten: die Komplexität und Schönheit eines menschlichen Lebens.

 

Vor zwei Jahren haben wir mit Sabine Hahn, der Grafikerin von insieme21, eine Sondernummer publiziert unter dem Titel „Die Welt ist bunt“. Menschen mit Trisomie 21, Menschen mit einer Beeinträchtigung sind eine der unzähligen Farbschattierungen.

 

Als ich bei anderen Mamas nachfragte, wie sie und ihre Kinder wahrgenommen werden möchten, kamen folgende Antworten:

 

-         „Wir brauchen kein Mitleid, sondern Akkzeptanz“

 

-         Ich möchte als eine Familie mit zwei Kindern, die über alles geliebt werden, wahr genommen werden. Ich möchte nicht als jemand Besonderes hingestellt werden für etwas, das für mich/uns selbstverständlich ist- dass wir unsere Kinder annehmen und lieben, wie sie sind.“

 

-         Dass unsere Xtra Kinder eine wertvolle Aufgabe in der Gesellschaft erfüllen und wir einfach normale Familien sind“

 

„Was du schaffst, würde ich nie schaffen“ – oft gehört, lieb gemeint und doch ein Satz, der in meinem Fall bei mir mehr Trauer und Isolation auslöst. Möchte ich so wahrgenommen werden, als etwas besonderes, weit entferntes? Ist es nicht eher so, dass wir alle vom Leben unsere Hausaufgaben gestellt bekommen? Die Kraft, diese Aufgaben zu lösen, wächst uns allen auf dem Weg zu.

 

 

 

Nicht als etwas Besonderes, nicht nur als behindert….wie denn, ganz genau, möchten Menschen mit Trisomie 21 und ihre Begleiter wahrgenommen werden?

 

Meine Antwort darauf ist: ich möchte gar nicht wahrgenommen werden, weder ich noch mein Sohn.

 

Rishi schlägt sich in der dritten Klasse mit Mathematik herum. Er sucht seine Worte. Ich als Mutter liebe meine drei Kinder, sorge mich um ihre Entwicklung, schlafe wenig. Ich ärgere mich über Ungerechtigkeit, freue mich an Blumen und bin dankbar, wenn ich einmal eine ruhige Minute im hektischen Alltag finde.

 

Wie Sie.

 

Wie Ihre Kinder.

 

Wir alle werden ins Leben geworfen und geben dann unser  Bestes.

 

Uns verbindet mehr als uns trennt.

 

Was uns jedoch unterscheidet, sind unsere Lebensumstände.

 

Rishis Leben mit Trisomie 21, mein Leben als seine Mama gestaltet sich anders als das ihre. In diesen individuellen Lebensbedingungen möchte ich nicht wahrgenommen werden, sondern wünsche mir von Ihnen Neugierde und Freude an der Begegnung. Gegenseitig offene Herzen, mit denen wir uns für einander interessieren.

 

Kennen Sie die Sage von Parzival? Er verfehlte es, den kranken König zu heilen, weil er sich nicht getraute, diesen nach seinem Wohlergehen zu fragen. Simple Worte: „Was hast du? Wie geht es dir?“ Mit dieser einfachen Frage wäre der König erlöst gewesen und Parzival hätte den Gral gewonnen.

 

Ich denke oft an diese Sage. Wenn ich einen Wunsch äussern dürfte, wäre es, dass wir uns gegenseitig mit Zeit, Offenheit und interessiertem Wohlwollen begegnen. Zeit und Wohlwollen, um auf mein langsameres Kind einzugehen und herauszufinden, was es ausdrücken und sagen möchte. Verlangsamung, Vereinfachung, um ihm zu ermöglichen, bei Spielen mitzumachen.

 

Zeit und Interesse für uns, um zu beschreiben, wie unsere Leben aussehen. Es ist ja immer eine Fülle von winzigen Momenten und Begebenheiten, die das Leben ausmachen.

 

Zeit und Wille, um gemeinsam zu überlegen, welches die Aufgabe von Menschen mit Trisomie 21 oder Beeinträchtigungen in unserer Gesellschaft sein könnte. Bringen sie eventuell das Geschenk der Entschleunigung? Der noch unerkannten Talente? Der herzerwärmenden Unmittelbarkeit?

 

Wenn ich mit Menschen mit Trisomie 21 zusammen bin, erlebe ich persönlich immer wieder, dass ich nichts tun und nichts leisten muss. Jedoch muss ich mich einlassen auf unsere Begegnung, muss jetzt und hier ganz da sein.

 

Nicht mit dem Geist, nicht mit Wissen, nicht mit den Augen: aus dem Herzen soll die Wahrnehmung kommen.

 

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